Mercedes W113 Pagode, eine Ikone der 1960er
Mercedes W113: Ende der 1950er Jahre gab es für Mercedes-Kunden mehrere Möglichkeiten, offen und stilvoll zu fahren. Für echte Luxusliebhaber gab es ein großes, viertüriges Cabriolet in Form des teuersten Autos, das Daimler-Benz zu bieten hatte: das 300d Cabriolet. Es fand 1959 23 Käufer, die bereit waren, DM37.000,- für die Automatikversion zu bezahlen.
Für diejenigen, die der Meinung waren, dass ein Luxus-Cabriolet nicht mehr als zwei Türen haben sollte, war das 220SE Ponton Cabriolet für DM23.400,- die richtige Wahl. Rund 270 Kunden wurden in diesem Jahr damit glücklich. Für die Schnellen und Wilden war der 300SL Roadster die ultimative Fahrmaschine. 211 Exemplare wurden 1959 zum Preis von DM34.000,- inklusive Hardtop verkauft. Wem die SL-Optik gefiel, es aber etwas sanfter mochte, konnte den 190SL für DM17.650 erwerben, ebenfalls mit Hardtop. 3.949 Käufer fanden 1959 Gefallen an diesem Konzept.
Nur vier Jahre später, 1963, sah die Welt völlig anders aus. Keines dieser Autos existierte mehr. Alle vier waren gut fürs Image, aber außer dem 190SL hatte keines dem Unternehmen sehr viel Geld eingebracht. Das hatte man in Kauf genommen, denn sie waren notwendig, um das Image wiederherzustellen, das das Unternehmen vor dem Zweiten Weltkrieg genossen hatte.
Wenn es einen neuen SL geben sollte, und der 190SL war der lebende Beweis dafür, dass ein solcher Wagen in vernünftigen Stückzahlen verkauft werden konnte, dann musste er auf der Technik und den Teilen einer Limousinen basieren, um rentabel zu sein.
Mercedes W113 SL, eine umstrittene Designidee
Um vor der offiziellen Vorstellung auf dem Genfer Automobilsalon am 14. März 1963 für bessere Information zu sorgen, beschloss die Geschäftsleitung, den W113 vor der Veranstaltung einer ausgewählten Gruppe von Journalisten zu zeigen. Auf diese Weise würden ihre Berichte noch vor dem offiziellen Erscheinungsdatum des Wagens erscheinen. Damit wäre das Interesse der Öffentlichkeit noch größer. Natürlich wusste kein Journalist, bevor das Auto gezeigt wurde, ob es sich um einen neuen 300SL oder einen neuen 190SL handeln würde. Natürlich hofften sie auf Ersteres.
Als Professor Fritz Nallinger, Chefingenieur und Vorstandsmitglied von Daimler-Benz, den 230SL vorstellte, war das für einige ein kleiner Schock. Das Dach war, gelinde gesagt, etwas ungewöhnlich. Aber es war nicht nur das Dach, das überraschte. Es war auch der Hubraum des Wagens. Ein 2,3-Liter-Sportwagen? Und das zu solch einem Preis?
Das Pagode-Dach des W113, früher gescholten, heute sein markantestes Kennzeichen
Natürlich wussten die Verantwortlichen bei Daimler-Benz, was sie taten. Der 300SL war ein perfekter Imageträger, aber er brachte dem Unternehmen nur wenig Geld ein. Der 190SL Benz hingegen galt als etwas zu langsam. So wurde der neue 230SL als leistungsstarker Tourensportwagen mit exzellentem Handling konzipiert, der zwei Passagiere und ihr Gepäck stilvoll, bequem und vor allem sicher befördern konnte. Dazu kam die Qualität von Mercedes-Benz, und man war überzeugt, dass sich der Wagen gut verkaufen würde. Und zwar so gut, dass man einen Exportanteil von fast 80 Prozent anstrebte!
Der W113 bekommt ein ungewöhnliches Dach
Das Dach war wirklich etwas gewöhnungsbedürftig. Erich Waxenberger, Ingenieur in der Abteilung von Rudolf Uhlenhaut, dachte zunächst, dass ein Baum auf das Autodach gefallen sein muss. Doch nicht zufällig kam der Mercedes-Sicherheitsguru Bela Barenyi auf die Idee, eine konkave Dachkonstruktion zu testen. Er ließ es zunächst an einer Limousine testen, die als Plattform für Fotografen dienen sollte, um eine erhöhte Sicht beim Fotografieren zu erhalten.
Dann wandte er sich an seinen Kollegen Paul Bracq, um ein fertigungsfähiges Design zu entwickeln. Danach musste man die Idee dem Vorstand verkaufen. Dies war eine der schwierigeren Aufgaben. Also wandten sich beide an Karl Wilfert, Leiter der Corporate Design Abteilung. Er war extrem willensstark und dafür bekannt, das Unmögliche möglich zu machen.
Dass das Dach ein kleiner aerodynamischer Alptraum war, wurde gerne übersehen. Es sah einfach gut aus, und heute kennt jeder, der sich auch nur ein bisschen für Autos interessiert, den Namen Mercedes SL Pagode. Mercedes hat den Wagen übrigens nie offiziell “Pagode” genannt. Der Name tauchte zuerst in österreichischen und französischen Zeitschriften auf.
Der Mercedes W113 SL verfügt über moderne Annehmlichkeiten
Obwohl viele der technischen Merkmale des Wagens bereits bekannt waren, waren es die Kombinationen und Verbesserungen, die den Wagen zu etwas Besonderem machten. Das Auto verfügte über
- eine Kugelumlauflenkung
- eine wirksame Zweikreisbremsanlage
- Girling-Scheibenbremsen vorne
- vakuumunterstützte Alfin-Trommeln hinten
- Servolenkung optional und
- Automatikgetriebe optional
Zum ersten Mal konnte ein solcher Wagen mit – für die meisten europäischen Journalisten überraschend – einem Automatikgetriebe bestellt werden? Schockierend!
Nicht nur die Presse war überrascht, sondern auch die meisten europäischen Kunden. Für sie war ein Sportwagen mit Automatikgetriebe schlicht undenkbar. Kein Wunder also, dass in Europa nur wenige automatische Mercedes SL verkauft wurden. Die Amerikaner dachten natürlich anders, die meisten ihrer Autos waren mit Automatikgetrieben ausgestattet, so dass dieses Extra für den Mercedes W113 für sie durchaus Sinn machte. Und da der nordamerikanische Markt für den Erfolg des Wagens entscheidend war, musste es angeboten werden.
Der 2.308 ccm große Reihensechszylindermotor M127.II mit 150 PS und 196 Nm Drehmoment basiert auf dem ehrwürdigen M180-Reihensechszylinder von Mercedes-Benz mit mechanischer Bosch-Sechs-Stempel Benzineinspritzung. Um die Leistung zu steigern, nahm man eine Reihe von Modifikationen vor, darunter die Vergrößerung des Hubraums von 2.197 ccm und die Verwendung eines völlig neuen Zylinderkopfs mit einem höheren Verdichtungsverhältnis (9,3 gegenüber 8,7), vergrößerten Ventilen und einer modifizierten Nockenwelle. Ein optionaler Öl-Wasser-Wärmetauscher war ebenfalls erhältlich.
Zur Standardausrüstung gehörte ein Viergang-Schaltgetriebe mit einem Übersetzungsverhältnis von 3,75:1. Es war das gleiche wie in der 220SE-Limousine, aber mit einem kürzeren ersten Gang für eine schnellere Beschleunigung. Für manche war das zu kurz, daher wurde das Schaltgetriebe 1965 vom neuen 250S/SE übernommen. Im Folgenden finden Sie eine kurze Chronologie der Änderungen, die während der Produktion des 230SL vorgenommen wurden:
- 10/1963: Erster 230 SL mit Automatikgetriebe
- 09/1964: Reserveradmulde entfernt, der Reservereifen horizontal montiert
- 11/1964: Optionales getöntes Glas
- 08/1965: Angleichung an die neuen W108 Limousinen, u.a. neue Bodenbleche, kombinierter Brems- und Kupplungsflüssigkeitsbehälter, Kofferraumbeleuchtung und Änderungen im Innenraum
- 03/1966: Halterungen für Dreipunktgurte hinzugefügt
- 05/1966: Optionales ZF 5-Gang-Schaltgetriebe, was aber nur selten bestellt wurde
Der 250SL kommt auf den Markt
Nach der Einführung der 250er Limousine mit sechs Zylindern wurde der 230SL zum 250SL aufgewertet.
Der größere M129.II-Motor hatte die gleiche Leistung, reduzierte aber die eher bescheidenere Leistung bei niedrigen Drehzahlen, da sein Drehmoment von 197 Nm auf 216 Nm bei 4.200 U/min anstieg. Ein breiteres Leistungsband des größeren Motors führte zu einer spürbaren Leistungssteigerung, denn der 230SL-Motor war dafür bekannt, dass er selten mehr als 143 PS leistete.
Leider litt das Triebwerk anfangs unter Zuverlässigkeitsproblemen bei längerer hohen Geschwindigkeit. Dieses Problem wurde von Mercedes schnell gelöst. Gleichzeitig wurde der Wagen aber auch für seinen relativ hohen Kraftstoffverbrauch bekannt.
Strengere Sicherheitsbestimmungen und US-Abgasvorschriften erforderten eine Reihe von Änderungen, die im August 1967 eingeführt wurden. Zu den Sicherheitsverbesserungen gehörten:
- Verbesserte verformbare Lenksäule
- Größere gepolsterte Lenkradnabe
- Konkave Bedienknöpfe
- Elastische Heizungshebel aus schwarzem Kunststoff
- Weiche, abgerundete Polsterung des Armaturenbretts
Türgriffe, Schlösser und Fensterkurbeln wurden ebenfalls leicht modernisiert, und die Türtaschen waren nun elastisch. Der Rahmen des Innen-Rückspiegels wurde von Chrom auf schwarzen Kunststoff umgestellt. Und die Seitenspiegel wurden eckiger.
Seitenreflektoren an den Kotflügeln und Kangol-Dreipunkt-Sicherheitsgurte wurden bei allen in die USA exportierten Modellen verwendet. Die Schaltkulisse des Automatikgetriebes wurde so angepasst, dass sich das “P” nun oben und nicht mehr unten befand. Und der verchromte Hupenring wurde durch ein mattes Finish ersetzt.
Ein interessantes und sehr seltenes Auto ist das 250SL California Coupe, das ohne Stoffdach auskam. Dafür gab es eine zweite, sehr beengte Sitzreihe
Vorstellung der letzten Mercedes W113 SL-Version, des 280SL
Nach nur einem Jahr wurde er durch den größeren und leistungsfähigeren 2,8-Liter SOHC M130 Motor des Mercedes Benz 280SE ersetzt. Er leistete 170 PS bei 5.750 Umdrehungen pro Minute und 244 Nm Drehmoment bei 4.500 U/min. Der Motor bot vor allem mehr Drehmoment im unteren Drehzahlbereich sowie einen geringeren Kraftstoffverbrauch.
Für die Leistungssteigerung musste die Bohrung um 4,5 mm vergrößert werden. Dies brachte den M180-Block an seine Grenzen und erforderte einen Ölkühler, der senkrecht neben dem Kühler angebracht wurde.
In den USA war der Mercedes W113 genauso beliebt wie in Europa
Eher selten sind Umbauten des Innenraums, wie bei diesem 280SL, der von Vilner aufgearbeitet wurde
Hier sind einige der Änderungen, die am 280SL vorgenommen wurden:
- 12/1967: Einteilige Radkappen im Einklang mit allen anderen Mercedes-Modellen
- 10/1968: Die US-Modelle werden mit Scheinwerfern ohne Nebelscheinwerfer ausgeliefert
- 02/1969: Neue Rückleuchten in den USA mit bernsteinfarbenen Blinkern
- 05/1969: Das selten bestellte ZF-5-Gang-Schaltgetriebe wird eingestellt
- 07/1969: US-Modelle haben Scheinwerfer mit bernsteinfarbenem Unterteil, beleuchtete Seitenmarkierungen, verbesserte Abgasreinigung und Transistor- Zündung
- 08/1969: Beheizbare Heckscheibe für Hardtop, Warnblinkanlage für alle Modelle, Einführung eines einzigen Hauptschlüssels für alle Schlösser
- 04/1970: Scheinwerfer können mit Halogen-Fernlicht bestellt werden
- 11/1970: Kunststoff-Kühlmittelausgleichsbehälter (statt mattschwarz-lackierter Messingbehälter)
Während der 250SL mit einem Grundpreis von 22.800,- DM nur geringfügig teurer war als der 230SL, war der 280SL 1500,- DM teurer als sein Vorgänger. Den Interessenten machte das aber nichts aus. Sie schätzten den erneuerten Mercedes W113 und machten den 280SL zur meistverkauften Version der drei Modelle.
Hier ist eine Aufschlüsselung der Verkaufszahlen der einzelnen Modelle:
- 230SL: 19.813
- 250SL: 5.196
- 280SL: 23.885
Wenn Sie mehr über die Entwicklung und den Werdegang des Mercedes W113 SL lesen möchten, können Sie mein Buch hier bestellen.. Es bietet auch eine Kaufberatung und erklärt ausführlich die Fahrgestellnummer und Datenkarte. Dazu gibt es viele neue Farbbilder, darunter auch Fotos der Aufhängung. Ich bin sicher, das Buch wird Ihnen gefallen.